Beitrag Prof. Dr. Frank Bösch (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam) Ästhetik und Versöhnung: Warum die Garnisonkirche aufbauen?

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Zerstörte Gebäude wurden immer wieder aufgebaut, um historische Kontinuität zu suggerieren und Traditionen für die Zukunft zu stiften. Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg gab es keinen Gebäudetyp, der so häufig aus Ruinen neu entstand wie die Kirchen. Selbst in den zerbombten Innenstädten von Köln oder Bochum ragen sie deshalb heute, fast wie durch Gottes Hand vom Krieg verschont, als scheinbar einzige Altbauten prunkvoll aus der kargen Nachkriegsarchitektur hervor. Ihr Wiederaufbau sollte eine christliche Tradition und Zukunft untermauern und die nach 1945 gestärkte Rolle der Kirchen unterstreichen. Und auch in der kirchenfeindlichen DDR wurden die zerstörten Kirchen, trotz einiger späterer spektakulärer Abrisse, seit den ersten Nachkriegsjahren vielfach mühsam wieder aufgebaut.

Im Unterschied zur Nachkriegszeit kochen bei der aktuellen Debatte um die Potsdamer Garnisonkirche die Emotionen besonders hoch, weil es hier nicht um den Wiederaufbau einer Ruine geht, sondern um einen kompletten Neubau, dessen Funktion in einer säkularisierten Gesellschaft unklar ist.

Dabei lassen sich vor allem drei Argumentationsstränge ausmachen: christliche, erinnerungskulturelle und ästhetisch-städtebauliche Argumente. Während mir die ersten beiden Argumente von geringerer Überzeugungskraft zu sein scheinen, liegt im dritten Punkt der treibende Kern der Debatte.

So bleibt die christliche Argumentation im engeren Sinne auffällig blass. Denn eigentlich ist eine Kirche in erster Linie ein religiöser Raum, der eine sakrale Funktion für die Gemeinde hat. Im Unterschied zur Zeit noch 1945 wird dies heute selbst bei den engagierten Geistlichen kaum erwähnt. Denn offensichtlich fehlt es in Brandenburg nicht an Platz in den Kirchen. Deutlicher vernehmbar ist der Anspruch, die christliche visuelle Präsenz in der Stadt auszubauen, die dieSED einst gezielt zerstört hat. Es geht um eine christliche Höhendominante, die sich an die Öffentlichkeit richtet und eine starke Stellung der Kirche untermauern möchte. Deshalb steht auch vor allem der Turm mit seinen 88 Metern im Mittelpunkt, der das Mercure-Hotel um ein Drittel überragen würde, und erst in zweiter Linie die Kirche selbst. Andere Aufbaukonzepte richteten sich hingegen weniger auf die christlichen Höhendominanten, etwa in Berlin bei der Petrikirche, deren Neubaupläne den 96 Meter hohen Turm verkleinern, und erst recht nicht bei der Kapelle der Versöhnung in der Bernauer Straße, die auf dem Fundament der 1985 gesprengten Versöhnungskirche steht.

Dabei lässt sich hier mit guten Gründen argumentieren, dass die christlichen Kirchen in den Sichtochsen in Potsdam durchaus präsent sind: Die gewaltige Nikolaikirche rahmt die Innenstadt vom Süden und vom Bahnhof her, die Katholische Propsteikirche St. Peter und Paul von Osten her und die Friedenskirche vom Westen, trotz der vielen vorgelagerten Plattenbauten.

In der Debatte wird oft der angestrebte interkonfessionelle Charakter der aufgebauten Garnisonkirche hervorgehoben, der eine Versöhnung mit anderen Glaubensgemeinschaften ermöglichen soll, etwa in einem interkonfessionellen Andachtsraum. Dies wirkt zwar wie ein großzügiges Angebot an die jüdische Gemeinde, die ihre prunkvolle Synagoge am Platz der Einheit nicht wieder in alter Pracht rekonstruiert. Es ist jedoch nicht unproblematisch, dass der jüdischen Gemeinde angeboten wird, sich in dem protestantisch und nationalistisch geprägten Ort, in dem Hitler einem bedeutenden propagandistischen Auftritt hatte, mit den Christen zu versöhnen. Hier scheint es vor allem um eine Versöhnung mit dem Erbe von Preußen zu gehen und um eine Überbauung der DDR-Geschichte; gerade dies führt jedoch nicht zu einer Versöhnung in der Stadt, sondern zur Spaltung von Alt· und Neu-Potsdamern.

Dies berührt bereits den zweiten häufig vorgetragenen Argumentationsstrang, in dem mit eher säkularen erinnerungspolitischen Gründen für und gegen den Aufbau gestritten wird. So wird oft angeführt, dass die aufgebaute Garnisonkirche eine „Schule des Gewissens” sein werde, die an den Widerstand vom 20. Juli erinnern könne oder an die Friedensproteste in der späten DDR, wie jüngst Bischof Huber unterstrich. Die Kirche könne so eine neue Tradition stiften, ober auch kritisch an die Vergangenheit erinnern.

Kritiker mahnen dagegen zumeist, dass der ,,Tag von Potsdam” 1933 gegen den Wiederaufbau spreche. Es ist sicher überzogen, allein wegen des Tags von Potsdam den Aufbau der Kirche abzulehnen. Sein Zustandekommen unterlag einem gewissen Zufall, weshalb argumentiert wird, ein prominenter Tag solle nicht 280 Jahre Geschichte überdecken.

Allerdings macht ein geweiteter Blick in die Geschichte des Ortes noch fraglicher, ob gerade diese Kirche für Versöhnung oder Widerstandsgeist stehen kann. Schließlich wurde in der Militärkirche, die im Besitz des preußischen Staats war, ebenso im Ersten Weltkrieg für den Kampf geworben wie nach der Revolution Erich Ludendorff hier 1920 gegen die Demokratie hetzte. Nach dem Tag von Potsdam war die Garnisonkirche ein Pilgerort für Anhänger des Nationalsozialismus, die etwa das ,,Lesepult des Staatsakts” berühren wollten, und Baldur von Schirach trat hier 1934 zur Bannerweihe mit der HJ auf. Dies wären alles keine Gründe, um im Stile der SED ein Gebäude abzureißen, aber eben auch keine zwingenden Gründe, um es neu zu errichten.

Unverkennbar geht es um das überbauen der DDR-Geschichte zugunsten der preußischen Tradition. Bei den Befürwortern des Aufbaus gibt es zudem eine Art Wiedergutmachungsdiskurs, der aus dem von der SEDausgehenden Unrecht gegenüber den Kirchen den Wiederaufbau fordert. Dies ähnelt der Forderung nach dem Aufbau der seit 1938 zerstörten Synagogen. Angesichts der Geschichte der Garnisonkirche vor 1945 kann sie freilich kaum eine vergleichbare Rolle als Ort der Opfer beanspruchen. Sehr plausibel ist, hier einen Ort der Erinnerung zu schaffen. Dies gelingt jedoch bereits sehr gut in der derzeitigen Ausstellung der Nagelkreuzkapelle.

Am stärksten für den Wiederaufbau der Garnisonkirche sprechen vermutlich ästhetische und städtebauliche Argumente, die auch die treibende Motivation der meisten Befürworter sind. Oft wird angeführt, dass die Garnisonkirche eine der schönsten Barockkirchen Norddeutschlands gewesen sei und so eine „ Wiedergewinnung der historischen Mitte” möglich wäre. Dass die Architektur des 18./19. Jahrhunderts mehr Ausstrahlungskraft besitzt als die Bauten der Gegenwart oder gar der DDR, ist schwer zu bestreiten, gerade bei öffentlichen und innerstädtischen Bauwerken. Durch die weit verbreitete Sehnsucht nach scheinbar authentischen Orten würde die aufgebaute Garnisonkirche sicherlich ein touristischer Magnet, ebenso wie das Stadtschloss schon jetzt. Dass, wie befürchtet wurde, Neonazis dorthin pilgern würden, erscheint wenig wahrscheinlich. Dazu bieten Berlin, Nürnberg und München genug Pilgerorte, die selten genutzt werden.

Allerdings: Geschmack ist subjektiv und ästhetische Urteile müssen jeweils ausgehandelt werden. Nicht jeder findet alte Kirchen schön, und nicht wenige Potsdamer haben auch positive Erinnerungen an das marode FH-Gebäude, das demnächst abgerissen wird. Zudem mangelt es gerade in Potsdam nicht an rekonstruierten und erhaltenen Gebäuden des 18. Jahrhunderts. Da es keine andere Verkehrsführung an der Havel gibt, wird die stadträumliche Aufwertung der Breiten Straße kaum gelingen und sie wird weiterhin autobahnartig den Lustgarten durchschneiden. Wie viele Bürger diesen Geschmack teilen und wenn ja, wieviel ihnen diese bauliche Aufwertung der Breiten Straße an Steuermitteln wert ist, darüber wird man breit abstimmen müssen. Im Moment zeigt sich jedoch eine große Angst davor, die Bürger zu befragen. Dies mag an dem erfolgreichen Bürgerbegehren mit seinen 16.000 Unterschriften liegen, aber auch an der Erfahrung aus Magdeburg, wo 76 Prozent der Wähler gegen den Wiederaufbau der Ulrichskirche votierten.

Angesichts der lang geführten Auseinandersetzung und der klammen Kassen, auch bei der Kirche und den Spendern, scheint dies jedoch der einzige Ausweg zu sein, um entweder den Aufbau mit Steuermitteln zu legitimieren oder aber eine kleinere Ersatzlösung im Sinne des angestrebten Erinnerungsortes zu schaffen.

Indirekt haben die Befürworter der Garnisonkirche recht: Ihr Wiederaufbau macht sie zu einem Ort, der zwar bisher nicht versöhnt, wohl aber die Demokratie beflügelt, da kaum eine Frage in Potsdam derartig breite Diskussionen und so ein großes Engagement hervorrufen.

Das ist bereits ein Erfolg von beiden Seiten.