Frauen haben Anspruch auf ganze Straßen.

Mitteschön fordert eine Bürgerbeteiligung zur Beibehaltung der historischen Namen in der Potsdamer Mitte.
Verdiente Frauen mit Straßennamen an zentraler Stelle im Quartier an der Langen Brücke ehren.

(Potsdam) – Mit großem Aplomb stürmt die neue rot-rot-grüne Rathauskooperation in Potsdam, unterstützt von Teilen der CDU, zur Umsetzung ihres ersten politischen Projektes: der Umbenennung von drei Altstadtstraßen im ältesten, mittelalterlichen Teil der Landeshauptstadt, rund um das neuerbaute Stadtschloß, das heute den brandenburgischen Landtag beherbergt.

Schloßstraße mit Blick auf Obelisk

Die drei Altstadtstraßen Schloßstraße (seit 1660), Schwertfegerstraße (seit 1726, nach der Degenmacherinnnung) und Kaiser- oder Kayserstraße (seit 1730 „Kaysers Gäßchen“ nach dem dort bekannten Bäckermeister) sind für die große Mehrheit des Kulturausschusses der SVV und die Stadtverwaltung schlicht „neuzubenennende Straßen“ wie in einem Neubaugebiet am Stadtrand beispielsweise am Bornstedter Feld oder in Krampnitz. Eine Öffentlichkeits- oder Bürgerbeteiligung ist „bei Straßenneubenennungen mangels [betroffener] Anwohner nicht üblich bzw. auch gar nicht möglich“ (Stadtverwaltung), und da ficht es das neue politische Bündnis nicht an, daß diese Straßennamen eine bis zu 350jährige Geschichte aufweisen, durchgängig als öffentliche Wegeverbindungen genutzt wurden und jetzt nur baulich „wiederentstehen[1]“. Selbst den Furor des sozialistischen Stadtumbaus mit der Überbauung des mittelalterlichen Gründungskerns der Stadt durch das Institut für Lehrerbildung „Rosa Luxemburg“, dessen Gebäude nach 1990 von zwei Fakultäten der Fachhochschule genutzt wurden, hatte die Schwerfegerstraße als Passage überstanden. Auch am Staudenhof bot die ehemalige Kayserstraße noch immer den kürzesten Weg vom Alten Markt in das Geschäftszentrum Potsdams an der Brandenburger Straße.
[1]  Antrag der Stadtverwaltung zum Kulturausschuß der SVV am 14.2.2019

Potsdam soll weiblicher werden
Als Hauptziel der Umbenennungen der Straßen wird von der Politik angegeben, daß „die Potsdamer Mitte weiblicher werden“[1] solle. Die neuen Straßennamen – durchgängig mit Bezug zur nationalsozialistischen Verfolgung andersdenkendender Potsdamerinnen und mit überraschend ausgewogenem parteipolitischem Hintergrund von der CDU bis zur SED – sollen „die Lebensleistung von Frauen würdigen“. Deshalb seien die langjährige Vorsitzende der israelitischen Frauengemeinde, Anna Zielenziger, die CDU-Mitbegründerin Erika Wolf und die SPD-Politikerin Anna Flügge, die nach der Zwangsvereinigung mit der KPD noch fast 20 Jahre lang in der SED-Politik gemacht hat[2], die geeigneten Namen das „kollektive Gedächtnis“ zu schulen. Kein Wunder, daß diese parteiquotierte Personenwahl im Kulturausschuß der SVV die einhellige Zustimmung der Fraktionen von den Anderen über die Linken und die SPD bis zur CDU bekam, eine wahrhaft große „Große Koalition“.

[1]  Sascha Krämer, Linkspartei, am 27.9.2019 in den PNN
[2] Noch 2001 hatten sich die Sozialdemokraten der Ehrung ihres Bürgermeisters Georg Spiegel enthalten, der 1946 nach der Zwangsvereinigung mit der KPD linientreue SED-Politik vertrat. Die Begründung der Potsdamer SPD damals: Verdienste könne man auch „verwirken”

Kaisersstraße mit Blick auf das Fortunaportal

Einsatz für Frauenrechte schwer zu glauben
Die hehren Beweggründe der Stärkung der Frauenrechte sind allerdings den handelnden Parteien nur schwer abzunehmen. Die aNDEREN, stets links von den Linken zu finden, haben sich gleich aus dieser Argumentation verabschiedet, indem sie wenige Wochen nach dem für die SVV empfehlenden Beschluss des Kulturausschusses zeitgleich die Abschaffung eines Frauennamens beantragt haben, des Luisenplatzes am Brandenburger Tor.

Die Sozialdemokraten wären in ihrem Kampf für die Gleichstellung von Mann und Frau auf den Potsdamer Straßenschildern sicher glaubwürdiger, wenn sie statt die wenig männliche „Schloßstraße“ umzubenennen ihre ebenfalls in der historischen Mitte geehrten Genossen Otto Braun oder Friedrich Ebert zur Verfügung gestellt hätten. Deren Viten weisen mit Potsdam keinerlei Verbindung auf (Braun war Königsberger und politisch im preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin tätig, Ebert Senior gebürtiger Heidelberger und vor seiner Berliner Zeit in der Bremer Bürgerschaft tätig), so ehrenwert das Wirken des preußischen Ministerpräsidenten und des ersten deutschen Reichspräsidenten auch gewesen sein mag. Nach den Vorschriften zur Straßenbenennung soll ein klarer Potsdam-Bezug erkennbar sein.

Dass die Sozialisten der Linkspartei Freude darüber empfinden, das erste Mal nach 1989 wieder ein SED-Mitglied neu auf einem Straßenschild im Zentrum einer deutschen Landeshauptstadt zu verewigen, ist ebenfalls leicht nachvollziehbar. Mit einem so schnellen Erfolg der erst Mitte September 2019 unterschriebenen rot-rot-grünen Kooperation hat die Linkspartei eigentlich gar nicht rechnen können. Die CDU hingegen fremdelt mit der Zustimmung zu der Entscheidung für die Umbenennung des östlichen Teils der Schwertfegerstraße, und die Tochter der zu ehrenden CDU-Mitgründerin, deren Ehemann nach politischer Renitenz nach 1946 auf zweifelhafte Art und Weise bei einem fingierten Autounfall ums Leben kam, widerspricht der Umbenennung offen: „sie wäre damit nicht glücklich[1]“.
[1] Zitiert nach PNN vom 3.10.2019

Chancen anderswo verpasst.
Darüber hinaus hätte die Stadtpolitik mit den jüngeren Benennungen des Platzes östlich der Neubauten der Brauerstraße (jetzt: „VersaillerPlatz[1]“) und der Havelpromenade am Museum Barberini („Adolph-Miethe-Ufer“[2]) weiblicher werden können, hier handelte es sich in beiden Fällen unzweifelhaft um völlige Neuanlagen von Wegeverbindungen, da es die öffentlichen Ufer vor 1945 nicht gab – die auch in zentraler Lage historisch unbeschwert sind. Doch die bloße Tatsache, daß für die drei Straßen Bebauungspläne aufgestellt wurden sollen die Wiederbenennung nun juristisch zu Neubenennungen machen, mit weitreichenden Folgen.

1] Potsdamer Partnerstadt
2] Nach dem Erfinder des Teleobjektives


Angst vor den eigenen Beschlüssen und „postrekonstruktives Trauma“
Insgesamt – so macht es den Eindruck – geht es eigentlich um etwas ganz anderes: Nämlich um die nachträgliche Umdeutung der Beschlüsse zur behutsamen Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss von 1990, die seitdem über zwanzig Mal in jeder Legislatur der Stadtverordnetensammlung mit großen Mehrheit bestätigt wurden, aber offenbar heute in der rot-rot-grünen Kooperation keinen Konsens mehr bilden. Es ist so eine Art „postrekonstruktives Trauma“, das die Stadtverordneten ergreift. Jeder Wiederaufbau eines historischen Gebäudes am Alten Markt wurde von der Bevölkerung und den Medien stürmisch gefeiert7 und nun hat man ein schlechtes Gewissen, als wenn man die Schokolade aus der Speisekammer gestohlen hat und möchte, daß die Altstadt mit neuen Namen wenigsten nicht so ganz nach „Altstadt“ aussieht. Eigentlich ein Fall für den Therapeuten, denn die Stadt reißt damit in touristischer Hinsicht mit dem sprichwörtlichen Hintern das ein, was sie mit viel öffentlichem Geld und PR gerade aufbaut – aber was kann wirtschaftliche Vernunft gegen das Bedürfnis „ein Zeichen zu setzen“ heutzutage schon noch ausrichten.

Anderswo kam niemand auf solche Gedanken
In Frankfurt am Main, wo statt des „technischen Rathauses“ in den letzten Jahren die Gassen der Altstadt wiederentstanden sind, kam in der Stadt nicht einmal die Spaß-Gruppierung „Die Partei“ auf die Idee den „Krönungsweg“ wegen angeblichem Monarchismus in einen Verfolgten des NS-Regime umzutaufen, oder für den „Hühnermarkt“ eine verdiente Christdemokratin finden zu wollen. Weder die Dresdner haben rund um den Neumarkt die „Moritz-“ oder die „Schuhmachergasse“ umbenannt, genauso wenig wie die Lübecker ihre „Fisch-“ und „Alfstraße“, ja nicht einmal die „Braunstraße“ (erstmalig 1259 als „Brunstrate“ nach einem Lübecker Bürgermeister benannt), die in Potsdam in der Fantasie manches „Aktivisten“ sicher noch mehr Panik ausgelöst hätte als die Potsdamer Kaiserstraße, mußte weichen und auch der hübsche Name „Einhäuschen Querstraße“ stand selbstverständlich nicht zur Disposition.

Straßennamen diene der Orientierung, nicht der Politik
Überhaupt: Straßennamen, sollten kein Ort für politische Grabenkämpfe und Verewigungsfantasien von Parteien sein, sondern dienen nach der Straßenverkehrsordnung zuerst der Orientierung, das ist offenbar in Vergessenheit geraten. Der Politik mußten schon der historische Fischmarkt (heute: Otto-Braun-Platz) weichen und die Hohewegstraße (heutige Friedrich-Ebert-Straße zwischen Schloßstraße und Am Kanal). Letztere folgte dem mittelalterlichen Stadtwall und der Weg auf der Wallkrone wurde deshalb folgerichtig seit dem 18. Jahrhundert als „hoch“ bezeichnet – viele alte Potsdamer kennen den Namen noch.

Schon jetzt verheddert
Aber auch mit den Bestandsnamen hat sich die Stadtverwaltung schon völlig verheddert: Auf der Ostseite des Alten Marktes, der bis dato in seinem Namen noch unstrittig ist, heißt die Straße (beginnend am ehem. Stadtkanal mit der Hausnummer 1) „Am Alten Markt“, das Potsdam Museum im Alten Rathaus firmiert als letzte Hausnummer „Am Alten Markt 9“.

Der brandenburgische Landtag gegenüber im Stadtschloß mit seinem Haupteingang durch das Fortunaportal trägt hingegen stolz die Adresse „Alter Markt 1“, die Neubauten westlich der Kirche sollen ebenfalls den Namen „Alter Markt“ tragen. Dann gibt es die Hausnummern 1-9 am Markt doppelt (siehe Karte). Am Alten Markt 1 und Alter Markt 1 liegen so schon heute in Steinwurfweite (läge die Nikolaikirche nicht dazwischen). Für Besucher sicher verwirrend, vermutlich haben nicht einmal die Stadtverordneten diese Doppelung bemerkt – wo doch Verwechselungsgefahr die Stadt im Zentrum um so manchen schönen Namen bringt.

So ist zum Beispiel die Potsdamerin Eleonore Prochaska, die als Mann verkleidet bei den Lützow‘schen Jägern gegen Napoleon kämpfte schon am Kirchsteinfeld geehrt, ihre „Kollegin“ Friederike Krüger allerdings ist noch straßenlos. Krüger war die erste Unteroffizierin in der Männerdomäne der preußischen Armee und wurde für ihre Leistungen in den Befreiungskriegen gegen Napoleon von König Friedrich Wilhelm III. in Potsdam mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Zu ehren wäre auch Dorothea Erxleben, die mit ihrem Bruder zusammen an der Universität Halle Medizin studierte, 1741 wies Friedrich der Großen die damals preußische Universität in einem Brief aus dem Potsdamer Stadtschloß (das Schloß als historischer Ort wird zu geringgeschätzt) an Erxleben zu promovieren – die erste Frau in Deutschland mit staatlichem Doktortitel. Aber alle diese Frauen waren in keiner Partei, deshalb zurück zu den drei zur Umbenennung vorgesehene Straßen in der Potsdamer Mitte

Mit öffentlichem Geld erst bekannt gemacht, jetzt umbenannt
Die Schloß- und die Schwertfegerstraße sind nun heute als Stummel noch existent und den Potsdamern seit hunderten Jahren geläufig, ihre Verlängerungen zum Landtagsschloß und zum Alten Markt hin sind der Bevölkerung – so sie es nicht wußten – seit über 10 Jahren durch zigtausend fache Veröffentlichungen des Sanierungsträgers mit viel kommunalem Geld (der „blauen Broschüre“, vielen Faltblätter) und durch die Berichterstattung über die Umsetzung des Leitbautenkonzeptes in den Medien eingebläut geworden. Alle Ausschreibungen der Grundstücke der Neubauten anstelle der FH, aber auch der Achtecken und des Einsiedlers wurden mit den historischen Namen geführt – die Verwendung der historischen Bezeichnungen stand nie zur Debatte. Sollte der Name des Bäckermeisters Kayser in seiner aktuellen Schreibweise tatsächlich bei manchem historische Deja-Vues auslösen kann man diesen ja mit „y“ schreiben oder „Kaysers Gäßchen“ verwenden – ein Name der das Zeug hat in der bekannten Liste der charmantesten Wegenamen des deutschsprachigen Raumes aufzusteigen, die bis dato von der Straße „Zur schönen Gelegenheit“ in Regensburg angeführt wird8.

Die genannten Frauen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, allen voran die Jüdin Anna Zielenziger, sollte hingegen am Ort ihres Wirkens geehrt werden, am 25. Februar 1931 hielt Zielenziger eine vielbeachtete Rede zum Jubiläum des karitativ tätigen israelitischen Frauenvereins im Restaurant „Zum Einsiedler“ in der Schloßstraße 8. An der Fassade der stark vergröberten „Kritischen Rekonstruktion“ des Einsiedlers, den das Architektenpaar Dietz/Joppien nun für die Mittelbrandenburgische Sparkasse errichtet, sollte sich ein Platz für eine erklärende Gedenktafel finden lassen. Der Ort liegt zudem neben der künftigen Potsdamer Synagoge in der – Schloßstraße.

Schloßstraße mit Einsiedler

Zusammengefasst: die Politisierung von Innenstadtstraßen sollte die Stadt nicht innerhalb von sechs Wochen ohne jede Bürgerbeteiligung über das Knie brechen. Es ist doch für den juristischen Laien schwer nachvollziehbar: Für jedes Stück Uferpromenade in entlegener Randlage Potsdams findet heutzutage eine Bürgerbeteiligung des „Beteiligungsmanagements“ der Landeshauptstadt statt – Informationsbriefe, Online-Abstimmung, Bürgerversammlung – aber bei einer Neubenennung des mittelalterlichen Gründungskerns der Stadt soll es mit einer Abstimmung des Kulturausschusses der SVV getan sein. Dass hierbei die Vorschläge des Potsdamer Straßennamenexperten Dr. Klaus Arlt vollständig in den Wind geschlagen wurden sei nur am Rande erwähnt.

Keine Stummel-Straßen für Frauennamen,
sondern ein zentraler Ort in der Innenstadt
Das Bedürfnis verdiente Frauen auch an zentraler Stelle mit Straßennamen zu ehren ist nachvollziehbar. Sonst endet die Gleichberechtigung wie beim Straßennamen für Karl-Friedrich von Schinkel oder Friedrich August Stüler in der Peripherie (in diesem Fall Seitenstraßen des Kirchsteigfeldes). Das Ziel ist auch am neuen Quartier an der Langen Brücke vis-a-vis des Hauptbahnhofes zu erreichen: hier sind im Bebauungsplan sieben Planstraße bis dato nur mit Nummern gelistet.

Dieser zentrale Ort am Havelufer mit einem großen Hotel wäre sicher würdevoller als die jetzt wiederzuerrichtenden Stummel historischer Straßen – verdiente Frauen haben Anspruch auf die Benennung ganzer Straßen.

So könnte Potsdam beides tun: die Straßennamen weiblicher werden lassen und seine Geschichte bewahren, von der die Landeshauptstadt und deren Stadtkasse bis dato immer prächtig lebt.
26.10.2019, Willo Göpel

Übersicht über die Straßennamen in der neuen Potsdmer Mitte