Zwei die Potsdam lieben: Barbara Kuster und Christian Näthe

Ach, mein Potsdam
Christian Näthe liebt seine Heimatstadt – und verzweifelt an ihr. In seinem Lied „Kleines sauberes Städtchen“ singt er über den Wandel, der ihn schmerzt. Für die MAZ hat er darüber geschrieben – ein Gastbeitrag der MAZ vom 11.12.2019

Ach mein Potsdam, schon die aufs Papier gebrachten sieben Buchstaben unseres Stadtnamens lösen etwas aus, Euphorie und Beklemmung. So als würde ich nach langer Reise heimkehren, voll von Neugier, Heimweh und unheilvoller Vorahnung, während ich das Ortseingangsschild passiere.

43 Jahre lebe ich nun hier, geboren in Babelsberg, aufgewachsen in Potsdam West. Die etwa einjährige Unterbrechung, mit Wohnsitz in Berlin, kehre ich mal unter den Teppich – weil ich sie, mehrheitlich in der Bahn oder im Auto sitzend, auf dem Weg nach Potsdam verbracht habe.

Wenn ich mit Freunden die Welt erkundete, die außerhalb dieser Stadt lag, verbrachten wir dort, in der Fremde, ganze Stunden in der geteilten Erinnerung an den Geruch der Havel, an Parkspaziergänge und an wilde Nächte, befeuert von der Musik unserer Subkultur. Was für eine Stadt! Sie durfte sogar ein bisschen „piefg“ sein. Unaufgeregt, weder Architektur noch Egos kratzten an den Wolken, keine von diesen gestressten Metropolen.

Erstaunlich, wie viele meiner engsten Freundinnen und Freunde tatsächlich hiergeblieben sind oder wieder hierher zurückkehrten. Wir suchten und wir brauchten uns und darüber hinaus etwas, das sich nur hier auf dem Kopfsteinpflaster, in den Hinterhöfen, Kneipen, Gewässern, in der Sprache, im Zusammenwirken der Menschen finden ließ.

Nun leben wir in einer boomenden „City“! Wandel und Veränderung gehören zum Leben, auch zum städtischen. Aber es lebt sich weitaus besser, wenn sich das Gefühl einstellt, dass wir den Wandel mitgestalten können. Das Gefühl ist mir persönlich abhandengekommen!
Es weicht eher einer Existenzangst und der Frage: Wie soll ich mir das Leben in dieser, meiner Stadt finanzieren? Wann spuckt mich der besagte Wandel aus?

Der Abriss der Fachhochschule (FH) Am Alten Markt, die Rekonstruktion der dortigen „Guten Stube“ und die wahrscheinlicher werdende Fertigstellung des Garnisonkirchenturms, sind Teil eines sich immer stärker manifestierenden Potsdams – aus dem ich mich ausgestoßen fühle! Denn es blockiert in einer sich verdichtenden und enger werdenden Stadt andere Energien mit finanziell weniger gut aufgestellten Lebensentwürfen. Die geografische Nähe von Rechenzentrum (RZ) und erstarkendem Garnisonkirchenturm legen dafür Zeugnis ab! Wie zwei Tiere umlauern sich diese Gebilde – das eine ist ein vom Abriss bedrohtes halbes Haus – das andere, ein im Aufbau befindlicher halber Turm. Und während das eine auch dank seiner teils prominenten Fürsprecher immer mehr erstarkt und offensichtlich die Deutungshoheit über Niveau, das kulturelle Erbe und eine sogenannte historische Verantwortung anstrebt – verliert das andere an Vitalität und Raum! Was ist (eine) unsere Stadt? Eine Marke, die fast ausschließlich nach wirtschaftlichen und historisch-ästhetischen Maßstäben betrachtet wird, mit hochpreisigen Immobilien in einer hochpreisigen Kulisse?

Ist dieser Wandel nicht nur geduldet, sondern sogar gewünscht? Ist Kultur und Schönheit wieder ein Privileg, das sich eben nicht jeder leisten kann und soll? Haben schlussendlich doch die „Realos“ in der Politik und unseren Köpfen gewonnen, ist unsere soziale Fantasie soweit amputiert, dass sich das „Malen nach Zahlen“ in fast allen Lebensbereichen durchsetzt, auch in unserer Stadt?

Die Aktivisten für einen Erhalt der FH bzw. die FH-Befürworter werden gerne als Minderheit dargestellt – was für die Aktivisten wahrscheinlich traurigerweise auch zutrifft. Aber ich glaube nicht, dass es in Potsdam eine Minderheit ist, die das Wegradieren der letzten funktionalen innerstädtischen Ost-Moderne-Architektur zugunsten einer „schönen alten Welt“ skeptisch betrachtet! Die meisten haben nur schon resigniert und/oder sind zu gefangen im Hamsterrad aus Arbeit und Stress, um sich ihren Lebensstandard hier zu halten, als noch Engagement zu zeigen. Und doch passiert etwas in den Menschen! Im Zusammenspiel mit den nach 30 Jahren Mauerfall fast fertig sortierten Besitzverhältnissen, von denen viele Potsdamer wahrscheinlich eher weniger profitieren, kommt ein „Trotz“ auf! Längst sind die FH und das RZ auch zu Trutzburgen, zu Symbolen geworden gegen diese Entwicklung, die die leisen kritischen Stimmen seiner Eingeborenen nicht mehr hören kann. Eine gesunde Stadt ist ein Biotop, verdichtete Vielschichtigkeit. Das Flair einer Stadt machen neben der Fassade auch die mannigfaltigen Beziehungen und Netzwerke unterschiedlichster Akteure aus! Dafür braucht es Lücken, Nischen – bezahlbaren Wohnraum und kreative Begegnungsstätten. Das hält unter anderem die viel beschworene und wichtige Stadt und Zivilgesellschaft zusammen!

Meine Fantasie ist noch nicht in Gänze versiegt! Ich kann mir als friedensliebender Barde das Rechenzentrum auch immer noch ganz gut ohne Garnisonkirche vorstellen – und male hier deshalb mal mein persönliches Zukunftsszenario:

Meine Fantasie ist noch nicht in Gänze versiegt! Ich kann mir als friedensliebender Barde das Rechenzentrum auch immer noch ganz gut ohne Garnisonkirche vorstellen – und male hier deshalb mal mein persönliches Zukunftsszenario:

Die verschiedenen Befürworter des Wiederaufbaus der Garnisonkirche, darunter Vertreter aus Politik, der Bürgerinitiative Mitteschön, sowie einige prominente Potsdamer gestehen sich ihren Irrtum ein, und finden sich zeitnah zu einer christlichen Zeit auf der Baustelle „Breite Straße 7“ ein, um in völliger Demut den begonnenen Turm Stein für Stein wieder abzutragen. Ich bin mir sicher – hierbei gehen ihnen zahlreiche Potsdamer hilfreich und unentgeltlich zur Hand, ebenfalls in stiller Demut, weil sie den Baubeginn dieser „gotteslästerlichen Bude“(Christoph Dieckmann) nicht verhindert haben! Die Hälfte des wiederverwertbaren Baumaterials wird für den Bau eines Proberaumhauses in Potsdam zurückgelegt und von der anderen Hälfte errichten wir dann an selbiger Stelle gemeinsam einen wahren Friedenstempel, der allen Menschen und Religionen offen steht und sich selbstredend in seiner Architektur viel kleiner und bescheidener vor dem nun wieder frei atmenden Rechenzentrum verneigt! Eine hiesige Steinmetz-Firma wird beauftragt, eine lebensgroße Statue von John Lennon mit Gitarre davor zu platzieren. Und um den regionalen Bezug nicht zu verlieren, sollte noch eine Stein-Tafel mit den letzten Worten des Romans „Heeresbericht“ von dem in Potsdam seinerzeit lebenden Schriftsteller Edlef Köppen prominent platziert werden. Dessen Protagonist sagt, nachdem er, wie der Autor selbst, die Hölle des Krieges erlebt hat, und nun in einer Nervenstation sitzt, nur noch einen Satz: „Es ist ja immer noch Krieg – leckt mich am Arsch!“

Der AFD wird mit dieser Aktion zumindest im Städtischen Raum ebenfalls der Boden entzogen – weil sich viele Menschen ihrer Stadt nicht mehr so entfremdet fühlen und so erst gar nicht in die Versuchung kommen, den falschen Propheten von „Über-Ich“ und Heimat hinterher zu rennen. Nach der wenig pompösen aber feierlichen Einweihung des Tempels ziehen alle ins RZ, wo wir bei einer Tasse Tee gemeinsam überlegen, wie und wo wir mit genau derselben Energie in Potsdam weiter machen!

Klingt doch eigentlich ganz schön oder?!
Herzlichst – ihr Christian Näthe

„Jammern auf hohem Niveau“

Barbara Kuster am schmiedeeisernen Eingangstor der Garnisonkirche – die Mitteschön-Aktivistin reagiert in der MAZ vom 20.12.2019 auf einen Debattenbeitrag von Sänger und Schauspieler Christian Näthe. Foto: Gartenschläger MAZ

Ach lieber Christian Näthe, ich habe zwar eine andere Meinung als Sie, aber so ungleich sind wir eigentlich gar nicht.

Beide sind wir Künstler und beide lieben wir unsere Stadt. Das, was Sie als Verlust in Ihrem Beitrag fühlen, habe ich auch gefühlt, als die eigentliche Mitte der Stadt Potsdam verschwand und mit belanglosen Bauten überbaut wurde. Ich war damals neun Jahre alt und musste mit ansehen, wie die Abrissbirnen die Ruine des Stadtschlosses zertrümmerten, obwohl es schon Planungen zum Wiederaufbau gab.

Später lagen die Trümmerhaufen der Garnisonkirche neben unserem Haus und die eigentliche Höhendominante fehlte schmerzlich im Stadtbild. Meine Straße wurde abgerissen, inklusive meines Elternhauses, Urbanität verschwand! Der Fleischer, der Drogist, der Friseur, Frau Schubert mit ihrem Eisladen und die Gaststätte zum Glockenspiel waren nicht mehr. Statt wunderschöner Häuser nur noch Beton – DDR-Zeit! Autoverkehr beherrschte alles, die einstige Prachtstraße von Potsdam hatte sich aufgelöst. Die City von Potsdam wurde die Brandenburger Straße. Viele Nachgeborene, wie auch Sie, kennen es nicht anders und empfinden es als Verlust, wenn jetzt DDR-Bauten verschwinden, die Ihre Jugend begleiteten.

Ich kann das alles sehr gut nachempfinden und Ihr Lied hat mich schon gerührt. Eines sollte man aber dabei bedenken: Der Alte Markt und die Garnisonkirche haben eine viel längere Geschichte als die momentan umkämpften Bauten. Sie waren Wahrzeichen der Stadt und haben sich tief in das gesellschaftliche Gedächtnis gegraben, Initialbauten, Zeichen unserer Stadtgeschichte und darüber hinaus weltweit bekannt. In welchem Geschichtsbuch steht das Rechenzentrum?

Ihre „Trutzburgen“, Fachhochschule und Rechenzentrum, sind nun nicht unbedingt architektonische Glanzleistungen, die es zu bewahren gilt. Dass damit alle DDR-Architektur aus unserer Innenstadt verschwindet, ist nun wirklich übertrieben.

Ein ganzes Viertel gibt es davon unmittelbar hinter dem Alten Rathaus. Die Bibliothek steht, leider nicht mehr ganz original, am Platz der Einheit. Um den alten Verbinder am Potsdam Museum hat sich Mitteschön bemüht und er ist halbwegs erhalten worden. Hinter dem Stadtschloss ragt das Mercure hoch und dominant in den Himmel, dahinter wird das Minsk wiederbelebt und in Sichtweite sieht man die DDR-Hochhäuser stehen, zu ihren Füßen die Seerose, die das Havelufer säumt. Wenn man das ins Verhältnis setzt, ist sehr viel von diesen wenigen 40 Jahren noch da und wird bleiben.

Aber, wie ich Ihrem Text entnehme, ist es wohl ein Gefühl der Verdrängung, das Sie empfinden. Die Angst vor Vertreibung von selbstverständlich altfrequentierten Räumen. Das empfinde ich als Jammern auf hohem Niveau.

Ich bitte Sie, wo „spuckt Sie den der Wandel aus“, wie Sie schreiben? Wird nicht alles getan, dass die Künstler in der Innenstadt bleiben können? Warum freuen Sie sich nicht einfach auf das neue Kreativzentrum an der Plantage? Vertreibung sieht anders aus. Ein ganzer Komplex für Künstler soll da entstehen. Die Ausschreibung der Stadt ist wieder einmal in Ihrem Sinne so gehalten, dass die Mieten moderat bleiben werden und die Bedingungen bei Weitem besser sind als im maroden Rechenzentrum. Würde hier saniert, so wurde erst letztens festgestellt, könnten Sie die Mieten sicherlich nicht mehr bezahlen.

Und bitte, verschließen Sie Ihre Augen nicht davor, dass es viele Bürger gibt, die in der Stadtmitte leben und arbeiten und dabei sehr viel höhere Mieten zahlen müssen. Die Stadt hat erarbeitete Steuergelder dieser Bürger in das Rechenzentrum gesteckt, um den Künstlern die Möglichkeit der Bleibe bis Ende 2023 zu ermöglichen.

Was die Kirche betrifft, viele Potsdamer freuen sich darauf und folgen begeistert dem Aufbau, der nicht nur städtische, sondern auch nationale Bedeutung besitzt. Die Diskussionen über den Wiederaufbau zeigen doch jetzt schon, wie wichtig dieser Ort ist. Und schon jetzt wird in der Nagelkreuzkapelle hochkarätige internationale Friedensarbeit geleistet!

Lassen Sie sich doch einfach mal auf ein Miteinander ein, wie es schon einige Künstler des Rechenzentrums tun, die in der Kirche im Frühjahr eine Ausstellung gestalten.

Lieber Christian Näthe, auch ich habe eine Vision:

Das neue Kreativzentrum wird an der Plantage ein Teil der neuen Kulturmeile sein. Vielleicht sogar in Kooperation mit der Garnisonkirche. Ja, vielleicht lässt sich der Fries des Rechenzentrums genau da aufstellen, wo er heute steht und umfasst eine Fläche, die man mit Veranstaltungen füllen könnte. Durch die Besucherströme wird auch den Künstlern eine Möglichkeit erschlossen, ihre Kunst besser zu verkaufen. Vielleicht nutzt man da auch die Freifläche auf der Plantage!

Es ist eine enorme und spannende Möglichkeit, die sich hier für die Künstler der Stadt auftut und an der auch Sie teilhaben können. Zu DDR-Zeiten haben wir von so etwas geträumt! Meine Band hat sich in Kellern und alten Garagen zum Proben zusammengefunden. Ich kann sie nur auffordern, daran mitzuwirken. Vertrauen Sie auf die Zukunft, so schlecht wird die nämlich nicht. Zeigen Sie mir eine Stadt, die ihren Künstlern so etwas Großartiges in der Stadtmitte bietet, ich wüsste keine.