Die Garnisonkirche ohne Kirchenschiff

Wir geben der Empörung eine Stimme!


FWG Mitglied Phillip Preuß aus Langerwehe

Sehr geehrte Kuratoriumsmitglieder,

sehr geehrte Mitglieder des Vorstandes der Fördergesellschaft,

sehr geehrte Damen und Herren,

vor etwa 10 Jahren begann ich mich mit dem Thema der Potsdamer Mitte zu befassen. Damals kam ich gerade in die gymnasiale Oberstufe. Zweifellos ein Alter in dem man sich für gewöhnlich mit anderen Dingen befasst als mit Geschichte, Architektur und Städtebau. Dennoch zog mich Potsdam in seinen Bann.

Erst kurz zuvor war von der Stadtverordnetenversammlung das Leitbaukonzept beschlossen worden.

Bereits damals sprach mich eines der vielen Projekte besonders an. Der Wiederaufbau der Garnisonkirche. Was damals nur Utopie war, faszinierte mich trotzdem vom ersten Tag.

Ein so bedeutendes Bauwerk, barocke Schönheit in Perfektion und voller Geschichte, verbunden mit großen Namen.

Als Schüler der Klasse 10 an einem humanistischen Gymnasium im entfernten Rheinland konnte man diese Faszination für die Potsdamer Stadt- und Bauhistorie durchaus als unüblich betrachten. Zu diesem Zeitpunkt begann mein Engagement für die Potsdamer Mitte und für die Rekonstruktion der Garnisonkirche.

Erst mit kleineren Spenden, dem Budget eines Schülers entsprechend. Dann, nach dem Abitur, mit Ziegelpatenschaften und ersten Werbeaktionen über die sozialen Medien.

2015 erfolgte schließlich mein offizieller Eintritt in die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam.

Zu diesem Zeitpunkt studierte ich bereits seit einem Jahr Geschichte und Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität zu Düsseldorf mit dem Ziel später ins Lehramt zu wechseln.

Meine zunehmende Beschäftigung mit der Geschichte der Garnisonkirche und dem Gerlachbau an sich, veranlasste mich meine ursprünglichen Pläne über Bord zu werfen. Ich begann zusätzlich ein Studium der Kunstgeschichte, mit Schwerpunkt Architekturgeschichte, und der historischen Hilfswissenschaften. Stets lag mein Fokus auf den baulichen Hinterlassenschaften der preußischen Könige in und um Potsdam.

Acht Jahre sind seither vergangen, in denen ich ein umfangreiches Fachwissen über Potsdam und die Garnisonkirche erworben habe. Und in all diesen Jahren habe ich stets gespendet. Selbst als Student habe ich regelmäßig 100 Euro für weitere Spenderziegel zusammengekratzt, oft zum Verdruss von Freunden und Familie.

In all diesen Jahren habe ich immer an das Projekt geglaubt, jeden Erfolg gefeiert, jeden Rückschlag hingenommen und in jede Debatte mein Fachwissen eingebracht und für das Projekt gestritten.

Ich habe neue Spender mobilisiert, meine ganze Familie mit ins Boot geholt, und wo es nur ging für den Wiederaufbau der Garnisonkirche geworben.

Gestern, am 07. Dezember 2021, feierte ich meinen 29. Geburtstag. Ein freudiger Tag sollte es werden. Ein Tag des Aufbruchs in ein neues Lebensjahr.

Doch es wurde ein Tag der Trauer und der Wut!

Denn keine geringere Information ereilte mich an diesem Tag, als dass die Stiftung Garnisonkirche, Vertreten durch ihren Kuratoriumsvorsitzenden Dr. Wolfgang Huber, das Projekt für einen unnötigen Kompromiss bereit ist zu opfern, der fauler nicht sein könnte.

Ein Projekt, welches mich fast mein halbes Leben begleitet und mich in meinen Lebensentscheidungen nachhaltig geprägt hat.

Dies hat mich bewogen zu später Stunde noch diese Zeilen zu schreiben.

Kurz um: Ich fühle mich betrogen! Betrogen um mein Geld und um meine Lebenszeit.

Kompromiss bedeutet, dass entweder beide Seiten, oder keine von einer Entscheidung profitiert. Im vorliegenden Fall profitieren ausschließlich die Gegner der Garnisonkirche, vertreten durch Herrn Oberbürgermeister Schubert und Frau Engel.

Aber diese Praxis der fadenscheinigen Kompromisse begann nicht erst am gestrigen Tag, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Historie des Wiederaufbaus. Stets hat man das Projekt beschnitten um nirgendwo anzuecken. Stets wurde Verzicht gepredigt um den Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Stets kam man jenen entgegen, die schon immer gegen den Wiederaufbau waren und es immer seien werden.

Dieses ewige Aufweichen des Projektes hatte zwei gravierende Folgen.

Zum einen ist äußerlich, wie inhaltlich nicht mehr viel von dem einstigen Profil zu erkennen, und zum anderen verlor man mit jedem Kompromiss potentielle Spender.

Eine leere Widmungsplatte über dem Hauptportal des Turms, das ewige Infragestellen des Bauschmucks (obwohl kunsthistorisch unbegründet), die ewigen Scharmützel mit der Stadt um den Erhalt des Rechenzentrums, das Gewährenlassen von Denunzianten wie Stefan Trüby und Philipp Oswald ohne rechtliche Konsequenzen, und zu guter Letzt ein Ausstellungskonzept, das an Subjektivität kaum zu überbieten ist und einer Selbstkasteiung gleichkommt.

Wen möchten Sie damit noch zum spenden animieren? Oder besser gefragt: wollen Sie überhaupt das der Wiederaufbau gelingt?

Mit ihrem Votum für das „Haus der Demokratie“ haben Sie diese Frage ausreichend mit einem großen NEIN beantwortet.

Sie geben diesen sakrosankten Ort der europäischen Geschichte einer unerhörten Banalität preis und machen ihn zur freien Verfügungsmasse für architektonische Experimente, das einer erneuten Zerstörung gleichkommt.

Im Rahmen der bestehenden Verträge und Planungen hätte ein möglicher Kompromiss so aussehen können, dass das Rechenzentrum vollständig zurückgebaut wird und das Grundstück hinter dem Turm zunächst unbebaut bleibt, allein schon aus Fragen der Finanzierbarkeit, jedoch mit einer originalgetreuen Rekonstruktion des Kirchenschiffs als Maxime für eine zukünftige Überbauung.

Die Stadt könnte ihren Bebauungsplan weiter umsetzen (3. BA Plantage/ Stadtkanal), das Grundstück des Kirchenschiffes wäre beräumt und die Stiftung könnte langfristig die Planung ins Auge fassen und die Kreativen aus dem Rechenzentrum sind mit ihrem neuen Kreativquartier im Langen Stall ohnehin bestens versorgt.

Dass Sie diese Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht gezogen haben, bzw. nicht dazu bereit waren auf Ihre/ auf UNSERE Rechte bezüglich des Rechenzentrums und des Grundstücks zu bestehen lässt für mich nur den Schluss zu, dass Sie das Projekt Garnisonkirche vorsätzlich sabotieren wollen.

Mit ihrer Zustimmung zu diesem Kompromiss begehen Sie Verrat und Betrug an allen Spendern und Engagierten Bürgern, die seit Jahrzehnten für das Verbriefte Ziel (laut Satzung) von Stiftung und Fördergesellschaft kämpfen. Nämlich die Wiedererrichtung der Garnisonkirche als Baudenkmal.  

Sollten Sie an diesem Ansinnen festhalten und somit nachhaltig die Satzungen beider Institutionen verletzen, so werden meine Familie und ich geschlossen aus der Fördergesellschaft austreten und über den Rechtsweg unsere finanziellen Aufwendungen, wegen der Vortäuschung falscher Tatsachen, zurückfordern.

Unabhängig davon fordern wir das Kuratorium der Stiftung, sowie den Vorstand der Fördergesellschaft zum Rücktritt auf.

Sie haben das Vertrauen Ihrer Mitglieder und Gönner missbraucht. Dies ist unentschuldbar.

Philipp Preuß                                    Martin Preuß                              Dr. Heike Preuß

Nicht nur eine Kirche, nicht nur ein Turm

Was da entsteht, kann für Potsdam historisch und touristisch von großer Bedeutung sein. Ein neues Wahrzeichen fern der vielen Schlösser der Schlösser-Stiftung. Doch es gibt auch Widerstand zum Projekt „Wiederaufbau Garnisonkirche Potsdam“. Weshalb das so ist und wie es nun weitergeht, habe ich in einem Gespräch mit Wieland Eschenburg, Kommunikationsvorstand der Stiftung Garnisonkirche, und Ulrich Zimmermann, Bürgerinitiative Mitteschön, erfahren.

Tabea Gutschmidt in Westblick,
Ausgabe 14, Oktober 2021, Newsletter des CDU-Stadtbezirksverbands Potsdam West

Herr Zimmermann, zum Einstieg für unsere Leser: Warum setzt sich die Bürgerinitiative Mitteschön so vehement für den Wiederaufbau der Garnisonkirche ein?

Zimmermann: Mitteschön setzt sich seit 2006 für die Wiedergewinnung der historischen Mitte in Potsdam ein. Dazu gehört neben dem Stadtschloss, Barberini und der Wohnblöcken am Markt eben auch die Garnisonkirche. Bei der vollkommenen Umsetzung des Leitbautenkonzeptes halten wir dieses Projekt aus städtebaulicher Sicht für immens wichtig und setzen uns deshalb gern dafür ein.

Und wie sieht Ihre Arbeit dazu ganz praktisch aus?

Zimmermann: Wir leisten eine starke Öffentlichkeitsarbeit und halten dagegen, wenn Unwahrheiten über die sozialen Medien verbreitet werden. Wir unterstützen die Stiftung, die Nagelkreuzgemeinde sowie die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche bis dahin, dass wir die Stiftung bei den Diskussionen zum Rechenzentrum stützen. Zugleich bemühen wir uns sehr intensiv für den Bau des neuen Kreativzentrums, welches mit der Kirche eine Einheit als entstehende Kulturmeile bilden kann. Hier gibt es viel zu tun und da arbeiten wir Hand in Hand mit der Stiftung. Hier können wir auch mit unseren Netzwerken, wie Bauingenieuren, Architekten oder Baurechtlern, fachliche Unterstützung leisten.

Eschenburg: Ich sehe Mitteschön als ein Glück für diese Stadt. Der erste Maßstab, der zum Umgang mit der Stadtgestaltung nach der friedlichen Revolution gesetzt wurde, war der Beschluss zur behutsamen Wiederannäherung zum historischen Stadtgrundriss (1990). Damals war ich Mitglied in der Stadtverordnetenversammlung. Ziel des Beschlusses war, dass die Komposition Potsdams, die gerade innerhalb der Linien der alten Stadtmauer noch wunderbar erkennbar ist, nicht weiter zerstört wird. Sie sollte vielmehr an die historische Gestaltung in Grundriss und Bauhöhen wieder angenähert werden. Und genau das macht Mitteschön immer wieder deutlich und in seinen Aktivitäten sichtbar.

Zimmermann: Ich bin seit 2000 Potsdamer und dieser Beschluss und das Engagement der Bürger zur Umsetzung des Beschlusses hat mich unwahrscheinlich bewegt und zeigt, wie das Engagement der Bürger unserer Stadt ist. Denn ehrlich gesagt hatten die Menschen 1990 wirklich andere Probleme, als der Frage nachzugehen, wie diese Stadt einmal aussehen soll. Es geht eben nicht darum, der Stadt irgendwelche „barocken Gebäude“ wieder-zugeben. Das entscheidende ist die historische Stadtstruktur, die letztlich diese schöne Stadt ausmacht. Der Beschluss von 1990 ist bis heute immer wieder von der Stadt durch neue Beschlüsse untersetzt worden. Der letzte ist das Leitbautenkonzept mit konkreten Bauten, keine vollständige Rekonstruktion der Gebäude, sondern der Fassaden, die aber im Stadtbild eine ganz wichtige Funktion übernehmen.

Oktober 2021

Eschenburg: Ich vergleiche das immer mit einem Gemälde. In einem alten Rembrandt würde man bei der Rekonstruktion von Fehlstellen auch nicht im Modern-Art-Stil hineinmalen. So ist es eben mit der barocken Stadt-gestaltung in Potsdam. Es fährt ja auch niemand nach Italien, um sich die tollen Neubaugebiete anzusehen. Es sind doch die historischen Stadtkerne, die die Menschen anziehen.

Ganz persönlich habe ich drei Beweggründe: Über den einen haben wir gerade gesprochen. Der zweite ist: Ich habe als Kind in Rostock, vom Dach unseres Wohnhauses, auf das mich meine Eltern mitgenommen haben, miterlebt, wie die kath. Kirche gesprengt wurde. Ich fand es so unglaublich, dass eine intakte Kirche, in die die Menschen sonntags zu Gottesdiensten gingen, angeblich für eine „notwendige“ Straßenführung gesprengt wurde. Die ganze Dimension dessen wurde mir erst mit dem Erwachsenwerden klar.

Und der dritte Grund ist der zentrale, dass wir die Verantwortung haben, für die Generation, die nach uns kommt, Geschichte so erlebbar zu machen, dass jeder sich von alleine fragt, was und warum etwas hier passiert ist. Günther Jauch sagte dazu den klaren Satz: „Wo nichts ist, wird auch nach nichts gefragt.“ Und auch wir sitzen jetzt hier und sprechen über den Bau und seine Geschichte, eben weil der Turm wieder aufgebaut wird. Diesen Wiederaufbau dann mit Inhalt, mit pädagogischen und mit Ausstellungskonzepten zu füllen, das ist ja das, was den Wert des Projektes letztlich ausmacht. Nur eine Hülle hinzustellen, wäre zu wenig. Das ginge dann wirklich in Richtung Disneyland. Diese Hülle mit Inhalt zu füllen, ist unsere verantwortungsvolle Aufgabe, so dass auch noch in 50 oder in 100 Jahren darüber gesprochen wird und die Menschen sagen: Gut, dass wir hier in die Geschichte inklusive auch der schmerzlichen, fehl-geleiteten Entscheidungen der Menschen, aber auch der vielen guten Erinnerungen an Momente in diesem Gebäude, eintauchen dürfen.

Zimmermann: Das ist ja auch das Konzept der Stiftung: „Geschichte erinnern, Verantwortung lernen und Versöhnung leben“. Dabei halte ich den Gegnern vor, dass sie immer nur fordern, der Bau müsse weg, er sei nur ein Symbol. Ich persönlich respektiere, wenn jemand sagt, er empfinde die Kirche als ein Symbol aus der Nazi-Zeit. Was ich nicht respektiere ist, wenn Lügen verbreitet werden oder, wenn behauptet wird, die Kirche sei eine Wallfahrtsstätte für rechte Gruppierungen. Dagegen verwehre ich mich. Dieser Wiederaufbau zeigt, welche Kraft darin steckt, hier Versöhnung und Geschichte zu leben und zu diskutieren. Sie sehen es überall. Dort wo Rekonstruktionen in Deutschland entstanden sind, waren sie am Anfang unglaublichem Widerstand ausgesetzt, selbst bei der Frauenkirche in Dresden.

Empfanden Sie die Entscheidung, die Kreativen als Übergangslösung 2015 in das marode Rechenzentrum einziehen zu lassen, im Nachgang als richtig?

Eschenburg: Bis zu dem Moment, als das Rechenzentrum 2015 als Übergangslösung für die Kunst-Kreativen zur Verfügung gestellt wurde, gab es überhaupt keinen Ansatz zum Erhalt des Gebäudes, denn der Abriss ist im B-Plan beschlossene Planungsgrundlage. Die Mensa, die rundum gebaut war, ist ja schon vor Jahren abgerissen worden. Der ergänzende Abriss des Rechenzentrums stand überhaupt nicht zur Diskussion. Der Abriss der ehemaligen Rechnerhalle hat auch niemanden bekümmert.

Jetzt ist die Situation aufgeladen durch die inhaltliche Nutzung. Man muss sagen, dass sich die Stadt von 2015-2018 nicht um die versprochene Alternative für die provisorische Nutzung gekümmert hat. Damit ist natürlich die Angst unter den Kreativen gewachsen, aus dem Gebäude rauszumüssen, ohne etwas Neues zu haben. Inzwischen liegt die Beschlusslage zur Entwicklung des Kreativquartiers vor, was wunderbar ist und wo man sagen muss, die Stadtpolitik hat Wort gehalten. Die Stiftung hat dann gesagt: Ok, hier wird eine Alternative geschaffen, dann wollen wir natürlich nicht diejenigen sein, die euch jetzt hier rausschmeißen, denn das ist für den Turmbau auch noch nicht nötig.

Natürlich wollen wir aber auch, dass die bestehende Beschlussfassung, wie der B-Plan und die Verträge, die mit der Stadt geschlossen wurden, eingehalten werden. So kann es einen ganz wunderbar fließenden Übergang geben. Ende 2023 soll das Kreativquartier fertig sein, zumindest schon in dem Flächenumfang, dass all diejenigen, die aktuell Mieter im Rechenzentrum sind, in die Ersatzbauten umziehen können.

Insofern war die Entscheidung 2015 richtig. Unverantwortlich ist, dass die Klarheit der Vertragsbindung zur Alternativlösung immer wieder verwässert wird und Überlegungen dahingehend angestellt werden, es ginge vielleicht doch ganz anders. Es besteht eine vertraglich bindende Regelung zwischen Stadt, Sanierungsträger und uns als Stiftung, dass der Teil, der auf unserem Grundstück steht, Ende 2023 abgerissen wird. In den Papieren steht, dass das ganze Gebäude wegkommt. Das entspricht der städtischen Beschlusslage. Die Nutzung ist aktuell nur dank einer bauaufsichtlichen Duldung möglich, die Ende 2023 ausläuft und keine Verlängerungs-option beinhaltet. Selbst wenn hier jemand noch einen Teil sanieren möchte, dann müssen alle Künstler für mind. zwei Jahre raus. Kein Bauherr baut oder saniert, wenn das Haus noch bewohnt ist. Genau das wird aber in der aktuellen Diskussion gern suggeriert.

Ist die derzeitige Vertragslage so klar, dass hier 2023 alle raus müssen oder kann das rot-rot-grüne Stadtparlament hier noch anders entscheiden?

Zimmermann: Die Vertragslage ist eindeutig und ganz klar, dass das dann abgerissen werden muss. Was ich der Politik, respektive dem OB, immer wieder vorhalte, ist, dass hier suggeriert wird, dass ein Teil erhalten werden kann. Es wird interessanterweise ein „Design-Thinking-Prozess“ für das Rechenzentrum ins Leben gerufen, statt sich intensiv mit dem Kirchenschiff und dem Kunst- und Kreativ-Quartier auseinanderzusetzen.

Auch in der politischen Diskussion wird über Erhalt diskutiert, aber nie darüber, dass „Ersatzbauten“ vertraglich festgelegt sind. Diese Ersatzbauten sollen 2023 fertiggestellt sein – mit 60 % mehr Kapazitäten und zu einem
Kalt-Mietpreis von 9,00 Euro pro Quadratmeter mit vertraglicher Mietpreisbindung auf 20 Jahre. Ich möchte mal den Politiker sehen, der sagt, ich zahle das. Nicht nur zwei Jahre darüber hinaus, sondern auch die Sanierung selbst. Selbst wenn sie nur eine Teilsanierung machen, dann haben sie weniger Mieteinnahmen. Wer soll das denn alles bezahlen? Das ist doch durchgerechnet worden von der ProPotsdam. Das wäre utopisch und politischer Irrsinn. Deshalb ist es auch so gefährlich, wenn da immer wieder gezündelt wird und Träumereien versprochen werden. Die Entscheidung vom damaligen OB Jacobs aus dem Jahr 2015, die Künstler in das Rechenzentrum zu holen, war in Ordnung, zumal sie ja aus dem Brauhausberg raus mussten und keine Bleibe hatten. Aber heute wird dieses Thema Rechenzentrum oder Wiederaufbau Garnisonkirche von verschiedenen Politikern genutzt, um ihre Leute zu mobilisieren. Leider gelingt es uns von Mitteschön noch nicht im selben Maße, unsere Anhänger zu mobilisieren. So werden Lügen verbreitet, es sei eine Kirche für und von Rechten und Veranstaltungen rechter Gesinnung geplant. Hier dagegenzuhalten ist unglaublich schwer. Die Kirche wird ein Ort der Versöhnung; hier engagieren sich viele Bürgerinnen und Bürger Potsdams. Diese als rechts zu diskreditieren, ist geschmacklos.

Die ursprünglichen Pläne beinhalten den Wiederaufbau der gesamten Kirche. Warum wird das Kirchenschiff derzeit so kontrovers von beiden Vereinen diskutiert?

Eschenburg: Wir als Stiftung sind derzeit dabei, den ersten Bauabschnitt zu realisieren, den Kirchturm. In allen Planungen, die Sie bei uns lesen können, ist „Bauabschnitt 1“ der Turm und „Bauabschnitt 2“ das Schiff. Abschnitt 1 ist noch nicht fertig und noch nicht final finanziert. Wir müssen aus privaten Geldern noch rund 4 Mio. Euro sammeln, für Läuteglocken, Glockenspiel und bauliche Schmuckelemente. Solange das nicht im Topf ist, machen wir einen großen Fehler, wenn wir uns davon ablenken lassen, uns schon auf den nächsten Bauabschnitt zu bewegen. Damit würden wir selbst den Eindruck vermitteln, der Turm sei bereits fertig. Das ist er aber nicht. Wir haben hier noch riesigen Handlungs- und Spendenbedarf. Das zweite ist, dass wir den Betrieb, die Nutzung für diese 1.200m² Nutzfläche im Turm, die durchdefiniert ist, auch ohne institutionelle Förderung gewährleisten können und müssen. Für das Schiff gibt es noch keine Nutzungskonzeption im gesamtstädtischen Konsens. Es gibt viele Ideen, die wir als Idee gut nachvollziehen können. Europäisches Bildungszentrum, Lernort der Demokratie, Konzert- und Kongressnutzung. Mitteschön unterstützt die Idee der Europakirche. Wir sind als Stiftung eine kleine Mannschaft und unsere Aufgabe ist der Turm. Wenn für das Schiff ein inhaltlicher Konsens gefunden ist – denn wir brauchen keinen zusätzlichen Gottesdienstraum in der Stadt – dann kann man über das Schiff nachdenken. Wir sagen: Erst der Turm, das Schiff läuft uns ja nicht weg. Das Einzige was weg muss, ist das Rechenzentrum. Wenn der Turm fertig ist, dann wird auch automatisch über das Schiff gesprochen werden, denn erst dann wird die volle Schönheit und die Nutzung des Turmes sicht- und erlebbar werden.

Widerspricht das nicht gerade der aktuellen Diskussion um das Kirchenschiff? Müsste nicht gerade jetzt ein klares Bekenntnis der Stiftung zum Schiff kommen, damit die Gegner nicht ihre Ideen ideologisch vorantreiben können?

Eschenburg: Nein, wir wollen nur die vernünftige Schrittfolge einhalten. Wir dürfen uns nicht verzetteln. Wir sind als Stiftung mit in den Design-Thinking-Prozess eingestiegen, weil wir uns natürlich – im Rahmen unserer Möglichkeiten – auch um nächste Schritte und Konzepte kümmern aber die Konzentration, die wir im Moment leben, ist einfach ganz klar der Turm.

Wann wird dann das Schiff kommen können?

Zimmermann: Das wird noch ein wenig dauern. Wir setzten die Akzente als Mitteschön etwas anders. Zunächst muss man aber konstatieren, dass es eine unglaubliche Leistung ist, dass dieser Turm nun schon so weit vorangeschritten ist. Noch vor zehn Jahren haben wir gedacht: Na, wird das was? Und heute hat uns dieses Engagement aus der Bürgerschaft noch einmal einen Anschub gegeben. Aber es ist auch eines klar, wir reden über den Wiederaufbau einer Garnisonkirche und nicht über den Aufbau eines Turms. Ausschlaggebend ist letztlich das Kirchenschiff. Hier ist also ganz entscheidend, für das Kirchenschiff ein Nutzungskonzept zu finden, denn wie Herr Eschenburg schon erwähnte, ist eine weitere Kirche als Nutzung „Gottesdienst“ allein nicht nötig. Wir als Mitteschön verstehen die Stiftung, dass sie sich mit ihren Ressourcen dem Turm widmet. Aber aus der Bürgerschaft heraus werden wir eine Initiative starten, um uns um ein Nutzungskonzept zu kümmern. Das ganze Problem, was wir derzeit sehen, ist doch, dass mittlerweile jeder mit einem Nutzungskonzept ankommt, teilweise ohne, dass das Kirchenschiff geplant wird und die Originalpläne des Schiffes somit torpediert werden. Leerer Stadtplatz, Garten der Opfervölker bis hin zur Vergrößerung des Rechenzentrums hinter dem Turm. Solche Diskussionen frustrieren unwahrscheinlich die Wiederaufbaubefürworter. Wenn hier von der Stiftung nur gesagt wird, wir müssen uns um den Turm kümmern, geht das nicht. Da entsteht ein Vakuum und dieses Vakuum ist nicht nur schädlich für den Weiterbau, sondern auch für die Nutzung als solche.

Von allen Konzepten unterscheidet uns auch, dass wir als einzige das größtmögliche Original wieder herstellen zu wollen; So wird der Turm außen original gestaltet und innen der neuen Nutzung angepasst. Das ist es doch, was die Geschichte ausmacht. Hier wollen wir die Stiftung tatkräftig unterstützen und werden positive Vorschläge bringen, die dem Satzungszweck entsprechen (Wiederaufbau Garnisonkirche). Wir erwarten aber auch von der Stiftung, dass sie sagt: Ja, wir bauen weiter. Das kann nicht ein Projekt der folgenden Generationen sein. Die Planungen allein für den Turm haben ca. 20 Jahre gedauert. Hier wurde das Kirchenschiff vom Architekten gleich eingeplant. Aber es gibt noch kein Nutzungskonzept. Wir als Mitteschön haben jetzt einen ersten Aufschlag gemacht, als Europakirche, die auf drei Säulen beruht. Kirchliche Nutzung, kulturelle Nutzung und europäische Begegnungsstätte für wichtige gesellschaftliche und politische Themen im Sinne der Völkerverständigung und nebenan das moderne Kunst- und Kreativ-Quartier.

Nicht nur inhaltlich ein extremer Mehrwert für Potsdam, sondern auch architektonisch ein Hingucker. Die historische Kirche neben dem modernen Quartier am Langen Stall. Mit unserem Konzept der Europakirche haben wir auch schon viele gute Erfahrungen bei den Bürgern machen dürfen. Die Idee stößt auf offene Ohren. Wir wollen mit unseren Plänen ganz klar die Stiftung unterstützen, sind aber nicht der Auffassung, bis 2023 abzuwarten was passiert. Stattdessen sollten schon jetzt Ideen und Pläne vorgelegt werden, damit 2023 Dinge bewegt werden. Das Konzept Turm darf nicht im Wiederspruch zum Schiff stehen.

Welche Erwartungshaltung haben Sie gegenüber der Politik?

Eschenburg: Zunächst einmal sage ich Danke, denn auch der Turm wäre in dieser Form nicht möglich, hätte insbesondere der Bund in seinem Haushalt nicht die finanziellen Mittel dafür bereitgestellt. Ich erwarte aber von den politischen Vertretern, die dieses Vorhaben mit Skepsis betrachten, dass sie diese Vorbehalte mit uns diskutieren und sich vor Ort ein Bild machen. Wir merken immer wieder, dass das, was wir tun, noch immer nicht in allen Köpfen angekommen ist. Unsere Türen stehen immer offen.

Zimmermann: Ich wünsche mir von der Politik Unterstützung, dass diejenigen, die sich politisch engagieren, zum Beispiel der Bundespräsident als Schirmherr, sich auch mal öffentlich zur Kirche positioniert. Das gilt auch für Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert als Kuratoriumsmitglied. Wo ein Wahrzeichen der Stadt errichtet wird, sollte er sich dazu offen bekennen und nicht irgendwelche Liebeserklärungen zum Rechenzentrum abgeben. Ich habe noch nie eine öffentliche positive Äußerung unseres Oberbürgermeisters zum Wiederaufbau der Garnisonkirche gehört und das, obwohl es das Wahrzeichen der Stadt werden wird.

Fakten:

Garnisonkirche

✓ Ersatzbau Kunst und Kreativzentrum

✓ 60 % mehr Kapazität

✓ 9,00 Euro Kaltmiete im Grundbuch für 20 Jahre festgelegt und verbrieft

✓ Kirchenschiff bietet Platz für Veranstaltungen von 1.900 Besuchern,
       mehr als doppelt so groß, wie der Nikolaisaal
       (zum Vergleich: der Berliner Dom bietet Platz für 1.390 Besucher)

✓ Kirche beherbergt neben einer historischen Ausstellung eine Kapelle
      für bis zu 100 Gottesdienstbesucher und Seminarräume für Unternehmen
      und andere Veranstalter

✓ Kirchturm höchste Aussichtsplattform Potsdams,   
       mit Fahrstuhl, behindertengerecht erreichbar

✓ Kirchturm wird 50% Erdwärme und 50% Fernwärme beheizt

✓ Kirche komplett behindertengerecht aufgebaut

✓ Ziel ist es, das Schiff gemeinsam mit dem Kreativ Quartier
    vollkommen klimaneutral zu bauen

Rechenzentrum

• bauaufsichtliche Duldung bis Ende 2023 festgeschrieben.

• Als Bürogebäude konzipiert, keine feuerwehrrechtlichen Grundlagen
      für andere Nutzung

• Kosten Sanierung 15 Millionen

• Kostenplan der ProPotsdam zu Baukosten und Mieteinnahmen erstellt
     und als nicht rentabel bewertet.

• Fördermittel für den Abriss des gesamten Areals sind bereits geflossen
    und teilweise eingesetzt.

• diese sind zweckgebunden – Bei Nichtverwendung Rückzahlung

Offener Brief an den OB zum Abriss des Rechenzentrums

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

wir sind sehr irritiert über Ihre immer wieder gemachten unklaren Aussagen zum Rechenzentrum. Die Wiederaufbaugegner der Potsdamer Mitte versuchen jetzt mit dubiosen und unwahren Behauptungen den Erhalt des Rechenzentrums zu fordern und Sie weisen das nicht, wie es zwingend wäre, zurück.

Eigentlich sollten Sie über die Sachlage informiert sein und entsprechend reagieren.
Bitte lesen Sie die Gutachten, die Ihre Stadt unter Ihrer Führung in Auftrag gegeben hat. Daraus geht eindeutig hervor, dass der Erhalt des RZ sich nicht rechnet und einen tiefen Griff in die Stadtkasse bedeutet. Hinzu kommt noch städtebaulich eine Abweichung des Bebauungsplanes, was größte Verwerfungen in die Planung nach sich ziehen würde und Planungs- und Rechtsunsicherheit bei den Bauprojekten im Quartier zur Folge hätte.

Darüber hinaus gibt es eindeutige Verträge und Vereinbarungen mit der Stiftung Garnisonkirche, die die ganze Störaktion ad absurdum führen.

360 Grad Foto Mitteschön

Unwahre und unbewiesene Behauptungen sowie Gutachten sogenannter „Experten“ ändern nichts am Sachverhalt.

Bitte führen sie sich vor Augen, es entsteht in zentraler Innenstadtlage ein Kreativ Quartier als Ersatzbau für das Rechenzentrum, dass deutlich mehr Fläche für die Künstler und Kreativen in unserer Stadt bietet und davon auch noch zum großen Teil zu subventionierten im Grundbuch verbrieften niedrigeren Mieten. Es gibt keinen Grund, hier zusätzlich noch einmal Steuergelder der Stadtkasse zu entziehen.

360 Grad Drohnenaufnahme vom Quartier an der Plantage

Wir fordern Sie auf, sich endlich zu der Entwicklung an der Plantage mit Kreativ Quartier und Garnisonkirche zu bekennen und allen Bestrebungen zum Erhalt des RZ eine klare Absage zu erteilen.

Mit freundlichen Grüßen

Bürgerinitiative Mitteschön

Rechercheanlagen zum Download:

Bericht der Landeshauptstadt Potsdam: Garnisonkirche Rechenzentrum Plantage

Die Komplexität der vertraglichen und baurechtlichen Bedingungen:
Zitate zum Rückbau und Abriss des Rechenzentrums aus dem Bebauungsplan
Sanierungsgebiet Neuer Markt/Plantage

Faktencheck Mitteschön

Das Glockenspiel steht unter Denkmalschutz

Veröffentlicht in: Garnisonkirche, Langer Stall | 0

Die 1991 auf der Plantage in Potsdam aufgestellte Nachbildung des Glockenspiels der Garnisonkirche Potsdam ist am 19. Juli 2021 in die Denkmalliste aufgenommen. Hier die Begründung des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLDAM)

Glockenspiel


Für das Potsdamer Glockenspiel wurden bereits in den 80-iger Jahren in Westdeutschland Spenden gesammelt. Es sollte damals mit dem Glockenspiel ein Symbol für den Wiederaufbau der Potsdamer

Garnisonkirche geschaffen werden, um den Gedanken der Wiedervereinigung Deutschlands im Bewusstsein der deutschen Bevölkerung wachzuhalten. Mit der Initiative wollte die damalige Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V. auch zur Entwicklung einer europäischen Bürgergesinnung beigetragen, die auf Toleranz, Rechtsstaatlichkeit, demokratischen Umgang miteinander und sozialen Ausgleich aufbauen sollte. Namhafte Spender, wie der damalige Bundepräsident Richard von Weizäcker und weitere mehr als 3.500 Spender aus der Bevölkerung haben das Projekt unterstützt.
1991 wurde das Glockenspiel der Landeshauptstadt Potsdam geschenkt und spielte bis 2019 wie das historische Glockenspiel halbstündlich und stündlich die beiden Kirchenlieder „Üb immer Treu und Redlichkeit“ und „Lobet den Herren“.

Glockenspiel auf der Plantage

Von Beginn war das Glockenspiel auf der Plantage ein polarisierendes Streitobjekt in der Potsdamer Stadtgesellschaft, war es doch immer verbunden mit dem umstrittenen Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche. Nach dem Baubeginn des Turmes der Garnisonkirche benutzten die Wiederaufbaugegner der Garnisonkirche das Glockenspiel und hier insbesondere Teile der Inschriften auf den Glocken als Forderung, das Glockenspiel wegen „revisionistischer, rechtsradikaler und militaristischer“ Inschriften abreißen zu lassen. Der Oberbürgermeister Mike Schubert entschied deshalb in 2019 das Glockenspiel, trotz Protest aus der Bevölkerung abzuschalten.

Anschließend gab die LHP den Auftrag für ein Gutachten an das ZZF-Potsdam, das Glockenspiel wissenschaftlich aufzuarbeiten und die Debatten um seine Entstehung und Aufstellung zu rekonstruieren. Das Gutachten von Herrn Dominik Juhnke vom ZZF-Potsdam spricht sich gegen eine Entfernung des Glockenspiels aus, weil damit ein spannendes Kapitel der Potsdamer Geschichte nach der deutschen Wiedervereinigung getilgt werden würde.

Mit seinem Erhalt dagegen, verbunden mit einem Vermittlungsangebot zu seiner Geschichte etwa als Open-Air-Ausstellung, mit multimedialem Einsatz oder als Teil einer Erinnerungslandschaft, kann jetzt das „Iserlohner Glockenspiel“ ein unbequemes obgleich unkonventionelles Wahrzeichen der Landeshauptstadt sein. Als Zeitzeugnis der Wiedervereinigung aus westdeutscher Sicht der 1980er Jahre und zugleich Teil der Potsdamer Stadtgeschichte ab 1991 kann das Instrument eine differenzierte Kontextualisierung erfahren, die jedem Betrachter ein eigenes Bild über den Charakter der Iserlohner Initiative und der Glockeninschriften erlaubt.

Es kann gleichzeitig ein wichtiger Erinnerungsort auf der geschichtsträchtigen Potsdamer Kunst- und Kulturmeile sein, die zukünftig vom Altem Markt, über neuen Markt, Kutschstall und neuem Kunst- und KreativQuartier bis zur Plantage an der rekonstruierten Garnisonkirche reicht. Ein Erinnerungsort, der mit dem Denkmal aufzeigt, dass unsere Geschichte vielschichtig ist.